Nur für Patentspezialisten: Der (Kommunikations-) Fachmann im EPÜ im Einspruchsverfahren

Der Fachmann als Bewertungsmassstab für die erfinderische Tätigkeit

Im Art. 56 EPÜ wird für die Begründung der erfinderischen Tätigkeit verlangt:

„Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.“

Somit gibt es an sich keine erfinderische Tätigkeit „als Solche“, sondern nur mit Bezug auf den Fachmann, der in dem jeweiligen technischen Gebiet zuständig ist. Es ist offensichtlich, dass ein „schwacher“ Fachmann eher zu einer erfinderischen Tätigkeit führt als ein „starker“ Fachmann. Der Definition des Fachmanns kommt somit bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eine zentrale Rolle zu. Als Anekdote, darauf verweisen, dass es sogar vorgekommen sein soll, dass bei einem Wechsel des für einen technischen Bereich zuständigen Prüfers in einem Patentamt urplötzlich die Patenterteilung deutlich erleichtert oder erschwert wurde. Prinzipiell soll es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit keinen Ermessensspielraum bei den Patentämtern geben, da es sich hierbei um eine auf Tatsachen gestützte Rechtsfrage handelt. In diesen Fällen kann man sich als Patentanwalt für den Fall 1 freuen und für den Fall 2 eine Diskussion über die Kenntnisse des Fachmanns mit dem Patentamt beginnen.

Der Fachmann für die digitale Kommunikation

In der Entscheidung T0984/15 haben sich die Parteien intensiv darüber gestritten, ob der Fachmann eher als ein konventioneller Elektroingenieur mit mehrjähriger Erfahrung oder eher als Spezialist in der Telekommunikation zu sehen ist. Der Einsprechende hat sogar vorgeschlagen: 

„(…) The skilled person is also able to work with and understand the telecommunicationstandards, in particular the technical specifications of the 3rd Generation Partnership Project (3GPP). He is aware of the interrelation of various documents belonging to the same technical sphere of a standard. He can be a member of the 3GPPRAN (Radio Access Network) Working Group 2 dealing with the Evolved Universal Terrestrial RadioAccess (E-UTRA), in particular hand over mechanisms between various radio access technologies.“ 

Somit ging die Einsprechende schon fast von einem Superfachmann aus.

Meinung der Beschwerdekammer des EPA (Europäischen Patentamt)

Die Beschwerdekammer hat sich weitgehend hinter die Meinung der Einsprechenden gestellt. Sie hat zunächst im Rahmen des etablierten Aufgabe-Lösungsansatzes die objektive Aufgabe der Erfindung bestimmt und nachfolgend den Fachmann als:

„In view of this objective technical problem, the notional skilled person, for the purpose of assessing
inventive step under Article 56 EPC, is a telecommunications engineer working in the field of
3GPP-based mobile networks.“

und weiter:

„The board does not agree with the quite limited set of skills attributed to the skilled person by the
respondent and rather concurs with the appellant that the skilled person could even be a member of the 3GPP
RAN Working Group 2.“

Wirkung der Entscheidung für weitere Erteilungsverfahren

Neben dem Widerruf des Einspruchspatents hat die Entscheidung der Beschwerdekammer die Wirkung, dass in Patenterteilungsverfahren bei der digitalen Kommunikation vor dem europäischen Patentamt der Fachmann regelmäßig als „stärker“ angenommen werden wird, so dass die Hürden für die erfinderische Tätigkeit deutlich hinauf gesetzt sind. 

Die regelmäßige Beobachtung von den Veröffentlichungen der Leitsätze des europäischen Patentamts hilft allerdings, Chancen und Risiken bei den Patenterteilungsverfahren realistisch einzuschätzen. In anderen technischen Gebieten wird der Fachmann selten so abschließend definiert, so dass hier der Argumentationsspielraum offen bleibt.

Verfasser: Dr. Matthias Negendanck (28.09.2020)

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